IRENE ANDESSNER. Selbstbildnisse
Irene Andessners Selbstinszenierungen sind Wiederbelebungen historischer Persönlichkeiten im Sinne eines Andenkens ebenso wie einer Reaktivierung. Ein Portrait der Künstlerin.
Begonnen hat Irene Andessner mit Malerei. Sie studiert zunächst in Venedig an der Academia di Belli Arti bei Emilio Vedova, einem der wichtigsten italienischen Informel Maler, und anschließend bei Max Weiler und Arnulf Rainer, ebenfalls ein Vertreter des Informel, an der Akademie der Bildenden Künste in Wien. Anlässlich eines Ausstellungsbesuchs im Kunsthistorischen Museum in Wien begegnet Irene Andessner erstmals Bildern der italienischen Renaissancemalerin Sofonisba Anguissola. Deren Selbstportraits faszinieren sie und leiten, angefangen mit dem Versuch, sich selbst als Sofonisba Anguissola zu malen, den Wechsel der Künstlerin ins Fach der Fotografie- und Videokunst ein, in dem sie zeitgemäße Formen der Selbstinszenierung erforscht.
Andessners Portraitarbeiten sind Wiederbelebungen historischer Persönlichkeiten im Sinne eines Andenkens ebenso wie einer Reaktivierung. Marlene Dietrich, Kurfürstin Dorothea von Brandenburg, Wanda von Sacher Masoch, Irene Harand, Barbara Strozzi, Hedy Lamarr, Ida Pfeiffer, Maria Sibylle Merian, Barbara Blomberg, Gwen John, Constanze Mozart, Angelika Kaufmann, Frida Kahlo. Inzwischen sind durch das Rollenspiel der Künstlerin über fünfzig Personen, vornehmlich Frauen, porträtiert. Die Auswahl ihrer Protagonistinnen folgt strikten Kriterien: Es sind starke und politisch integre Frauen, Frauen, die erfinderisch, kreativ, kämpferisch, klug und bemerkenswert waren, solche, die durch ihre Persönlichkeit oder ihre Handhabung ihrer Lebenssituation beeindrucken, oft genug jedoch in einer männlich dominierten Welt und Geschichtsschreibung in die hinteren, im Schatten stehenden Ränge verdrängt wurden.
Es hat mich interessiert, sagt Irene Andessner, wie Frauen in verschiedenen Jahrhunderten mit dem Selbst umgegangen sind. Um diesen Zugang zu entwickeln, recherchiert sie das Leben ihrer Personen, sucht Bildnisse und entscheidet sich dann für einen dieser bildwürdigen Momente als Ausgangsbasis ihrer künstlerischen Verkörperungen. In der Umsetzung reflektiert die Künstlerin die Vorlagen als gesellschaftliche Bilder, als Fiktionen vom Frau-Sein als Heiliger, als unerreichbarem Superstar, als Leidender, Dominierender, Leichtfertiger und stellt diese teils getreu, teils als Reinterpretation mit Materialien unserer Zeit nach.
Einerseits finden ihre Selbstinszenierungen im Studio oder in als Set erkennbaren Aufnahmesituationen statt. Dabei entstehen großformatige Polaroids. Das Material, sagt sie, war ihr stets wichtig, da sie auch in der Fotografie malerisch arbeiten wollte und das mit dem Polaroidmaterial möglich war. Andererseits haben ihre Selbstinszenierungen, vor allem wenn sie als Videoarbeiten angelegt sind, auch performativen Charakter und beziehen andere in die Wiederbelebung mit ein.
Wenn die Künstlerin sich als Ursula K., eine vom Leben gezeichnete, deprimierte Frau, in Vorstadtkneipen, Waschsalons und öffentlichen Saunas unter die Leute mischt, oder im Livestreaming-Projekt "Maternoster" als Alma Mater, Maria von Nazareth, Mutter Courage (Anna Fierling) und Madonna Louise Veronica Ciccone in einem Paternoster im Haus der Industrie mit Wirtschaftsbossen die Stockwerke rauf und runter fährt, dann handelt es sich bei diesen Selbstinszenierungen um Real-Performances. Ihr reinszeniertes Selbst wird dann in real existierende Verhältnissen ersichtlich und es lösen sich die Grenzen dessen, was sie selbst ist, auf. (wh)
Dieses Künstlerportrait wird unterstützt durch den Kunstverein CastYourArt.
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