MARINA ABRAMOVIC. The Art of Presence
Marina Abramović zuzuhören bedeutet, den Bogen eines Lebens zu spüren, das sich immer wieder neu über seine eigenen Grenzen hinaus erweitert. Für das schüchterne Mädchen im damaligen kommunistischen Tito-Jugoslawien ändert sich alles als sie ihren eigenen Körper als künstlerisches Ausdrucksmittel und das Publikum als Resonanzraum für eine unbekannte, elektrifizierende Kraft entdeckt. Dies erweckt eine Passion, deren Anziehungskraft sie sich Zeit ihres künstlerischen Lebens nicht mehr entzieht.
Aus den ersten Schritten entwickelt sich schon in jungen Jahren eine Künstlerin, die stets mit Unsicherheit, Risiko und radikaler Offenheit gerungen hat. Was sie als „heroisch“ beschreibt, ist kein Pathos, sondern ihr tatsächlicher beherzter Mut, mit einer damals nahezu unbekannten Kunstform den Körper zur Leinwand, zum Instrument, zum Schlachtfeld und zum Spiegel für ihr Publikum zu machen.
Performance ist nicht nur besonders, weil sie die Anwesenheit des Publikums verlangt, um Zeugnis zu geben, sie ist besonders weil sie in viel tiefergehendem Sinne von Anwesenheit getragen ist. Man muss da sein, anwesend in seiner Ganzheit ohne etwas auszugrenzen, nur so kann eine Wahrhaftigkeit entstheen, in der sich glaubwürdig etwas verschiebt – langsam, unwiderruflich – auf beiden Seiten. Abramović hat deshalb Dauer als ein zentrales Element ihrer Performancekunst etabliert. Über lange Zeiträume hinweg kann man sich nicht verstellen, Dauer zerrt alles ans Licht, was gerne verborgen wird und ihre Performance macht es nicht nur sichtbar, sondern auch bearbeitbar.
Ihr Werk bewegt sich vom Körper zum Geist, vom Austesten physischer Grenzen zur Erforschung des unendlichen inneren Raums. Und von der Radikalität ihrer frühen Performances vielleicht in den Hintergrund gedrängt wird ein tieferliegendes Ziel immer sichtbarer: den menschlichen Geist zu heben. Abramović spricht von Hoffnung nicht als Trost, sondern als Notwendigkeit: „The spirit in any condition does not burn.“
Unser Interviewfilm zeichnet die Entwicklung ihres Werks, ihrer Gedanken und die Entwicklung ihres Seins nach. Bei ihr sind diese drei Ebenen verwoben, sie wirken aufeinander ein und beeinflussen sich. Wir folgen ihr durch die symbiotische Intensität der Jahre mit Ulay, Zeiten der Einsamkeit und Stille und es wird nachvollziehbar wie aus Lebensbegebenheiten neue künstlerische Orientierung erwächst. Transformation ist ein Leitmotiv: ihre eigene, die des Publikums, die der Kunstform selbst.
Wer dem Interview folgt und ihr Werk kennt wird vielleicht erstaunt sein, einer Person zu begegnen, deren Ernsthaftigkeit auch auf Leichtigkeit trifft. Alles Überflüssige sagt sie, ist abgeschnitten. Was bleibt, ist Freude, Ehrlichkeit und Humor: das notwendige Lachen, das Vorgefertigtes wirkungsvoll erschüttert.
Dieser Film lädt uns ein, an dieser wachsenden Klarheit teilzuhaben. Er ist keine Biografie, sondern eine Begegnung mit einem Geist, der sich beständig neu bildet; keine Chronologie, sondern eine Meditation darüber, was es bedeutet, Kunst als Form von Mut, Verbindung und Verwandlung zu leben. Marina Abramović ist dabei sowohl Führende als auch Spiegel: „Wenn ich das mit mir selbst tun kann, dann bin ich dein Werkzeug – du kannst es auch.“
Die Ausstellung "Marina Abramovic" in der Albertina Modern ist noch bis 1. März 2026 zu sehen.
https://www.albertina.atDas könnte Sie auch interessieren
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